Mit „Big City Life“ schrieb er einen der größten und wichtigsten Hits des 21. Jahrhunderts. Er reiste mit seiner Band Mattafix um die Welt, sang vor 100.000 Menschen und berührte Millionen – von Berlin bis Darfur. Nun meldet sich der Londoner Sänger Marlon Roudette mit seinem ersten Soloalbum „Matter Fixed“ zurück. Dies ist seine Geschichte.
Wenn das Bild von der Musik, die einem in die Wiege gelegt wurde, jemals zutraf, dann auf Marlon Roudette. Geboren wurde er vor 28 Jahren in London, als Sohn einer Designerin und eines britischen Erfolgsproduzenten. Also verbrachter er die meiste Zeit seiner Kindheit in Musikstudios und Ateliers . Wenig später zog er mit seiner Mutter, Vonnie Roudette, in deren Heimatland St. Vincent und die Grenadinen am südlichsten Zipfel in der Karibik. Und auch dort war: Musik. Überall. In den holprigen Mini-Bussen, den Rum-Shops, die an jeder Ecke um die Gunst der Kundschaft werben, den vor Energie übersprudelnden Clubs von Kingstown – als Marlon mit 17 Jahren nach London zurückkehrte, war sein weiterer Lebensweg im Grunde vorbestimmt.
Kaum in seiner Geburtsstadt angekommen, traf er dann auch seinen späteren Partner bei der Band Mattafix, Preetesh Hirji. Die Chemie stimmte sofort zwischen dem indisch-stämmigen Beats-Frickler und dem weltgewandten Marlon mit den tausend musikalischen Ideen. Trotz, oder vielleicht gerade wegen, der offensichtlichen Unterschiede. Sie beschlossen, gemeinsame Sache zu machen. Kamen beim lokalen Independent-Label Buddhist Punk Records unter. Und schafften schon mit ihrer zweiten Single, was für die meisten Künstler immer ein Lebenstraum bleibt: einen Welthit. Ohne musikalische Kompromisse, mit einem ureigenen Sound und aufrechter Begeisterung rund um den Globus. Eine Karriere im Zeitraffer, wie sie selbst in der Musikmetropole London nicht alle Tage passiert.
Der Erfolg von „Big City Life“ überraschte 2005 auch Mattafix selbst. Wie all seine Songs hatte ihn Marlon Roudette auf seiner Gitarre geschrieben, in wenigen Stunden. Auch der wuchtige HipHop-Beat unter seinem charismatischen Falsetto war im Grunde simpel. Aber seine Wirkung war gewaltig. „Big City Life“ landete unter anderem in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf Platz 1 der Singlecharts, aber auch im fernen Neuseeland. Er wurde zu einem der Soundtracks des Sommermärchens von 2006 und erreichte Platinstatus. Viel mehr noch als ein kommerzieller Erfolg aber war „Big City Life“ ein Stück, das Menschen weltweit aus der Seele sprach. Ein so eingängiger wie eindringlicher Appell an Liebe und Toleranz in Zeiten der Globalisierung. „Don’t you wanna know me, be a friend of mine? I’ll share some wisdom with you“, sang Roudette auf dem Stück. Und Millionen wollten.
Mattafix bekamen Dankes-Emails von Kriegsgefangenen und Führern der Freiheitsbewegungen, sie wurden zu Botschaftern für „Save Darfur“, tourten im Nahen Osten und weiten Teilen Afrikas. „Durch meinen Familienhintergrund habe ich so viele Künstler kommen und gehen sehen“, erinnert sich Roudette heute. „Deswegen wusste ich immer, dass es einen tieferen Grund geben muss für das, was ich tue. Dass es über die Musik hinausgehen muss. Das viele Reisen hat diesen Wunsch noch bestärkt. Durch das Reisen wird man erwachsen. Plötzlich siehst du, dass kulturelle Probleme in der Regel doch nicht so schwarz/weiß sind, wie man uns oft glauben machen willen. Letztlich sind wir Menschen alle gleich: Wir alle haben die gleichen Träume, Ängste, Wünsche und Fehler. Auch das wollte und will ich mit meiner Musik zum Ausdruck bringen.“
Musikalisch waren Mattafix klar geprägt von Roudettes Lieblingsplatten wie Gregory Isaacs’ Reggae-Klassiker „Night Nurse“ oder Massive Attacks „Protection“. Kantige Beats trafen auf hypnotische Loops und die tonnenschweren Bässe des Dub. Und über all dem schwebten federleicht Popmelodien für das 21. Jahrhundert. Aber Roudette hatte immer auch schon eine andere Seite in sich. Eine Schwäche für klassisches Songwriting, für die zeitlosen Lieder von Sam Cooke, Aretha Franklin und Sade. Diese Seite schlägt auf „Matter Fixed“ nun klar durch. Die Harmonien sind geschliffener, die Arrangements ausgefeilter. Die Texte sind persönlicher geworden und dadurch noch universeller.
„Als ich angefangen habe, an diesem Album zu arbeiten, machte ich gerade sehr viel durch. Beziehungsprobleme, Tod, Liebe. Alle diese Gefühle musste ich irgendwie kanalisieren. Also habe ich begonnen, ehrlichere, persönlichere, in gewissem Sinne klassischere Songs zu schreiben. Das war ein sehr emotionaler Prozess für mich.“
Zwei Jahre lang hat Marlon Roudette an „Matter Fixed“ gefeilt, und das Ergebnis ist jede einzelne Studio-Sekunde wert. So verarbeitet Roudette auf „The Loss“ in berührender Weise den Tod seiner Großmutter. „Riding Home“ zeigt seine ganz persönliche Sichtweise auf die Mattafix-Story: von St. Vincent raus in die Welt. „Viele Leute wissen überhaupt nicht, dass ich ursprünglich aus der Karibik komme. Vielleicht weil ich auf den ersten Blick für sie nicht so aussehe. Aber mir war sehr wichtig, diesen Aspekt meines Lebens zu erklären.“
Nicht nur deswegen ist „Matter Fixed“ ein so mutiger wie folgerichtiger Schritt. Stücke wie „Brotherhood Of The Broken“ oder der Opener „Storyline“ sind beispielhafte Belege großer Songwriter-Kunst. Ebenso die Single „New Age“, die Roudette als einen „riesigen Durchbruch“ in der Arbeit an dem Album beschreibt. „Ich hatte ja keine Ahnung, was für einen Sound mein Album eigentlich haben sollte. Zeit meines Lebens war ich immer in Bands und Crews gewesen. Aber plötzlich hatte ich nur noch mich, meine Gitarre und eine Geschichte, die verdammt noch mal erzählt werden musste. Also habe ich mich auf die Suche begeben.“
Als britischer Einwanderer aus der Karibik und tourender Musiker hatte er sich stets in der Welt zuhause gefühlt. Und doch war London, mit seinem alltäglich gelebten Multikulturalismus, stets seine spirituelle Heimat gewesen.
Dass ihn in der Millionenmetropole zudem kaum jemand erkannte, gab ihm, dem Weltstar, zusätzlich Schutz und Sicherheit. „Mattafix war ein London-Projekt. Mit meinem Soloalbum wollte ich beweisen, dass ich tun kann, was ich möchte – überall auf der Welt.“ Er lebte eine Weile in New York, „in einer sehr kreativen Atmosphäre“, schrieb in St. Vincent, nahm in Los Angeles auf, mit Top-Produzenten und Songschreibern wie Brian West (Nelly Furtado), Guy Chambers (Robbie Williams), Vada Nobles (Rihanna, Lauren Hill), Paul O'Duffy (Amy Winehouse), Kwamé Holland (Mary J. Blige) oder Craigie Dodds (Sugababes, Gorillaz). Von diesen Leuten als Komponist und Künstler respektiert zu werden, gab ihm das Selbstbewusstsein, seine ambitionierten Pläne in die Tat umzusetzen.
„Ich habe als Kind nie zuhause vor dem Spiegel mit der Haarbürste geübt. Ich wollte nie ein Star sein, habe mich in der Gruppe stets am wohlsten gefühlt. Der einzige Grund, warum ich überhaupt eine Art Frontman geworden bin, ist, dass bei einer Mattafix-Session eines Tages der Sänger nicht wie vereinbart im Studio auftauchte. Aber als ich da in Los Angeles in diesem Studio stand, mit einem Vollprofi wie Brian West und meinen Song ‚Storyline’ aus den Boxen gehört habe, da wusste ich: Das ist es!“
Man muss nicht in Los Angeles im Studio sein, um dieses Gefühl zu teilen. Marlon Roudettes Musik wirkt auch auf einem iPod in Kreuzberg, im Londoner Radio oder in einem Mini-Bus in der Karibik. Universelle Musik eben, die aus tiefstem Herzen kommt – und gerade deswegen die ganze Welt umarmt. Dem unzuverlässigen Session-Sänger jedenfalls sei noch einmal herzlich gedankt. |