Die Landschaft Amerikas ist ausladend und gewaltig, sie spiegelt eine bewegte Geschichte ebenso wider wie die
Vorahnung zukünftiger Möglichkeiten. Diese Topografie bildet den Ausgangpunkt für After It All, das zweite Album von
Delta Rae, dessen Songs die Folklore und Romantik des amerikanischen Grenzlandes erkunden, um unsere Ängste im
Bezug auf das zu verstehen, was kommt. Am Anfang stand die Idee eines Konzeptalbums – die Geschichte junger
Liebender, die durch die jüngste Rezession harte Zeiten durchleben –, doch während des Schreib- und
Aufnahmeprozesses wurde klar, dass die Musik von Delta Rae Geschichten erzählen musste, wie die Band sie persönlich
erlebte.
„Unsere Ziele für das Album waren, etwas cineastisches, romantisches und amerikanisches zu erschaffen“, sagt Eric. „Und Musik zu machen, die wir lieben – auch, wenn sich dieses Ziel ständig ändert. Nicht jedoch der Anspruch.“ Brittany
ergänzt: „Wir kamen beim Schreiben immer wieder auf uns selbst zurück. Die Songs waren ein integraler Bestandteil
unserer eigenen Geschichten in unseren eigenen Leben. Sie sollten auf eine auf ehrliche Weise reflektieren, was wir
fühlten, anstatt es nur auf die von uns erschaffenen Charaktere zu projizieren.“
Die Identität der Band und ihrer sechs Mitglieder war entscheidend sowohl bei diesem Album als auch bei Delta Raes
wuchtigem Debüt Carry The Fire (2012). Die Band hat sich 2009 aus drei Geschwistern gegründet, Ian, Eric und Brittany,
die ihre Kindheit an so unterschiedlichen Orten wie San Francisco, Nashville und Marietta, Georgia verlebten. Nachdem sie
fürs College nach Durham, North Carolina gezogen waren, tat sich das Trio mit Elizabeth, Mike und Grant zusammen, um
dynamische, leidenschaftliche Musik zu kreieren, über die sie ihren männlich-weiblichen Gesang legen konnten – Letzteres
durchaus zu verstehen als Idee duellierender Kräfte: In ihrer Musik entlädt sich fortwährend eine Spannung zwischen
männlich und weiblich, dunkel und hell, Leben und Tod . Carry The Fire war eine Momentaufnahme dieser Ästhetik,
aufgenommen binnen nur weniger Monate mit Produzent Alex Wong und finanziert komplett via Kickstarter, bevor die Band
bei Sire Records unterschrieb. Dies schuf für Delta Rae das Fundament, auf Tour zu gehen und die darauffolgenden
anderthalb Jahre „on the road“ zu verbringen und bei Festivals wie Lollapalooza, Bonnaroo, Austin City Limits und Hangout Festival aufzutreten. Entlang dieses Weges enthüllte sich ihnen die Kulisse Amerikas von ganz allein.
So war „Chasing Twisters“, ein hymnischer Song, der auf der gleichnamigen EP 2013 erschien, das Ergebnis von Reisen
im Südwesten: „Ich war inspiriert davon, unterwegs zu sein und durch New Mexico zu reisen“, sagt Eric. „Wir hatten das
Gefühl, dass es Musik geben sollte, die dieses endlose Land einfängt. Es ist eine Art Pistolenheld-Geschichte über
Romantik und Liebe.“ Brittany ergänzt: „Wir haben uns der frühen amerikanischen Folklore gewidmet. Es fühlt sich natürlich
und aufregend an, diese Geschichten zu erkunden, die man gemeinhin nicht für besonders magisch erachtet. Doch sie
sind es. Unser Land hat seine ganz eigene tiefe, robuste Seite. Diese wollten wir beleuchten.“
“Bethlehem Steel”, ein pochender, ausgelassener Folk-Rocker, ruft die verlassenen Fabriken der ehemaligen Industrie
Pennsylvanias ins Gedächtnis, ein Abbild der aussterbenden Mittelklasse. „Es geht darum, wo wir uns jetzt als Land
befinden und das verschenkte Potenzial, das die jungen Leute treffen könnte, wenn wir nicht aufpassen. Wir müssen
unsere Zukunft für uns reklamieren und unser Land nach unseren Vorstellungen gestalten“, betont Ian. „Es geht um
Gefühle wie Frustration und Angst, aber auch um Hoffnung und das Verfolgen unserer Interessen.“
Das gesamte Album balanciert zwischen diesen beiden Gefühlen, die Magie unserer Vergangenheit und die Ungewissheit
unserer Zukunft. Es beginnt mit der Zeile: „Bin ich immer kurz davor, hinzuschmeissen?“ – ein Appell an den Zuhörer, sich
in seiner Umwelt einzubringen. „Dies ist eine wirklich treffende Songzeile im Bezug auf unsere Band“, erklärt Ian. „Darüber
hinaus scheint es ein Thema zu sein, dass sich derzeit durch die gesamte amerikanische Psyche zieht. Wir müssen uns
ständig neu dafür entscheiden, uns einzubringen. Es gibt viel Unbehagen, das sich durch das Album zieht und das sich
zugleich in unserem Land widerspiegelt.“
Dem Tod ins Gesicht zu blicken und ihm zu trotzen – diese Vorstellung wohnt sämtlichen Songs inne, besonders
„Outlaws,” „Scared” und „I Will Never Die”. Es kulminiert in dem melancholischen Schlussakt „After It All“, eine liebliche,
gleissende Ballade, die das Leben nach dem Tod erkundet. Diese Themen ziehen sich wie ein roter Faden durch das
gesamte Album und verbinden die Songs, während die Musik selbst zwischen unterschiedlichen Stilen und Genres
wechselt. Hatte die Band auf ihrem Debüt noch eine „ausschliesslich echte Instrumente“-Policy walten lassen, so wurde nun
der Griff gelockert – die Inspirationen reichen vom HipHop eines Kanye West und Jay Z bis zum Americana-Rock von
Tom Petty und The Eagles. Anders als beim ersten Album, wurden die Songs diesmal über die Spanne von anderthalb
Jahren kreiert, beginnend in Los Angeles mit Rob Cavallo Ende 2013, fortgesetzt in Raleigh im Frühjahr 2014 und
schliesslich beendet mit Peter Katis in Bridgeport, Connecticut letzten Herbst. After It All besteht aus 13 Tracks, ausgewählt
aus den gut 25, die am Ende der Sessions standen.
„Wir waren auf diesem Album experimenteller“, sagt Ian. „Wir haben Horn-Parts und ausladende Streicher reingebracht.
Im Ergebnis fühlt es sich für mich ein wenig dynamischer an. Dessen ungeachtet werden die Leute das wiedererkennen,
worum es bei Delta Rae schon immer ging – die Harmonien, das Songwriting und die echten Instrumente, die wir auf
diesem Album erweitert haben. Das war wirklich spannend für uns.“
„ Carry The Fire fühlt sich wie der junge Samen dessen an, was wir dann mit diesem Album aufgezogen haben“, ergänzt
Brittany. „Es stellt das Album in einen Kontext und ermöglicht uns, es auf eine neue Weise zu lieben. Wir haben uns für
dieses Album enorm gestreckt. Du kannst in jedem einzelnen Moment unser aller Herzen spüren. Man merkt, dass alle
Puzzleteile gleichermassen wichtig sind für das Bild, welches das Album malt.“
Dieses Bild ist eines von Amerika, das vergangene und das heutige, und von einer jungen Generation, die immer noch
nach ihrem Platz in der Welt sucht. Die Songs klingen wie das amerikanische Grenzland, zu dem die Texte die
Geschichten erzählen. Es ist eine Reise, denn die Musiker begaben sich auf eine ebensolche, um es zu kreieren. „Dieses
Album war eine Suche“, sagt Eric. „Wir haben in drei unterschiedlichen Städten gearbeitet und sind in noch viel mehr
gereist. Es war auf vielerlei Weise eine Erkundung. Nun sind wir bei diesem Album und diesem Statement angekommen.
Ich bin so stolz auf die Songs und die unterschiedlichen Seiten von uns, die es aufzeigt.“
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