„One Breath“, das zweite Album von Anna Calvi, beschreibt einen Moment, der einer einschneidenden Veränderung unmittelbar vorausgeht - den Atemzug, der den Beginn von etwas Neuem markiert, der das Leben in ein Vor – und Nachher teilt. Nicht umsonst ist "One Breath" auch der titelgebende Track des Albums: "Der Song umschreibt diesen wirklich angsteinflößenden Moment, bevor du dich einer Sache stellen musst. Es ist gleichzeitig beängstigend, aber auch aufregend. Andererseits ist es ein Moment voller Hoffnung, denn was auch immer passieren muss, ist zuvor noch nicht passiert", sagt Anna Calvi.
"Das Jahr, in dem ich das Album geschrieben habe, war eine schwere Zeit, aber es war eine lehrreiche Erfahrung,“ erzählt die Sängerin weiter. „Ich habe das Gefühl, dass ich dadurch anders schreibe, also ist zumindest etwas Gutes dabei herausgekommen. Das erste Album war das Statement einer starken Frau, wohingegen es bei "One Breath" mehr darum ging, mit Hilfe der Musik Erklärungen für vergangene Situationen zu finden, die mir widerfahren sind."
Verglichen mit dem langwierigen Entstehungsprozess ihres Debüts, ist "One Breath" so auch eher eine Momentaufnahme, die binnen weniger Wochen entstand. Geschrieben wurde es in London, aufgenommen in den Blackbox Studios in Frankreich und schließlich abgemischt in Texas, USA und diese halbe Erdumrundung schlägt sich auch nieder in den Call and Response-Details, die man aus der westafrikanischen Musik kennt, über transformative Konzeptideen vom Komponisten John Adams bis hin zu einer Hommage an Maria Callas. "One Breath" ist wie eine musikalische Reise, nicht nur durch verschiedene Kontinente und Zeiten, sondern entlang ausgedehnter musikalischer Bandbreiten. Mitverantwortlich für das experimentelle Timbre auf "One Breath" war Produzent John Congler, der bereits mit Amanda Palmer und Bill Callahan zusammengearbeitet hat.
Doch "One Breath" zeichnet sich nicht nur durch seine musikalische Vielfalt aus, sondern vor allem durch Anna Calvis Können, Gefühle zu portraitieren. „One Breath“ ist insgesamt persönlicher und nachdenklicher als ihr Debüt.
Der Opener des Albums "Suddenly" hat einen zwiespältigen Charakter. Zwar beeindruckt der Song mit seinem euphorischen Klang, doch textlich sieht es ganz anders aus. "Es geht um Erinnerungen an schwierige Erlebnisse, die zu einem gewissen Grad immer bei einem sind, sogar, wenn man seine Kraft wieder erlangt hat. Ich mag die Gegenüberstellung - die Musik spielt in Dur und es ist ein ziemlich fröhlicher Song, aber die Geschichte ist eine sehr verletzliche.“
Das schwere, zermalmende "Love Of My Life" ist vielleicht der größte Aufbruch aus der Vergangenheit. Mit einer Kombination aus wilder Verzerrung und Momenten nervtötender Stille erzählt es "vom Gefühl, jemanden so richtig zu wollen, und zwar so sehr, dass man ganz fiebrig wird. Wenn ich dieses Gefühl so wahrnehme, dann muss sich das auch im Sound des Songs so ausdrücken. Es hinterlässt ein ziemlich mulmiges Gefühl in mir. John (Congler) bemüht sich, neue Sachen auszuprobieren und nicht nur auf der sicheren Seite zu wandeln." Und genau das wollte Anna auch.
"Piece By Piece" löst sich musikalisch Stück für Stück auf, bis die Songstrukturen ganz zerfallen und unterstreicht so perfekt die Lyrics, die davon handeln, wie eine Erinnerung im Laufe der Zeit mehr und mehr verblasst.
"The Bridge" lässt das Album mit einer surrealen, himmlischen Gelassenheit auslaufen, „denn das Ende führt dich zurück zum Anfang," erklärt Anna Calvi.
Ein Atemzug. Und alles hat sich verändert.
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