Wenn man Hugo Leclerq fragt, warum er so lange für sein erstes Album gebraucht hat – sein Debüt ‚Adventure’ erscheint fünf Jahre nachdem er angefangen hat, Tracks unter dem Namen Madeon zu veröffentlichen – ist die Antwort ziemlich verblüffend: „Ich habe darauf geachtet, nicht zu früh mit einem ganzen Album zu kommen“, sagt er. „Ich wollte mir sicher sein, es zur richtigen Zeit und aus den richtigen Gründen zu tun. Aber irgendwann 2013 war klar, dass ich ein Album machen wollte. Es erschien wie eine tolle Möglichkeit, eine Ära abzubilden und einzufangen, und in gewisser Weise auch abzuschliessen. Und ich wollte die Gefühle und die Empfindungen meiner Teenager-Jahre darstellen und damit abschliessen. Es schien auf jeden Fall richtig, das zu tun.“
Das Verblüffende daran ist, dass Madeons Teenager-Jahre noch kaum zu Ende sind. Für einen Mann, der behauptet „keinerlei natürliche Neigungen zur Musik“ zu haben, hat seine Karriere eine ziemlich rasante Geschwindigkeit angenommen. Mit gerade mal 20 Jahren hat er nicht nur eine Reihe von viel beachteten Singles veröffentlicht, Auftritte bei so ziemlich jedem grossen Dance-Event von Las Vegas bis Ibiza bestritten und mit Pop Culture (seinem gefeierten Video, in dem er in dreieinhalb Minuten live 39 verschiedene Tracks von Künstlern von ELO bis Britney Spears gemischt hat) atemberaubende 27 Millionen Klicks auf YouTube erreicht hat; auch sein Talent als Produzent wurde von einigen der grössten Namen der Pop-Welt angefragt: Tracks von Muse, Ellie Goulding, Two Door Cinema Club oder Coldplay tragen seine Handschrift, ausserdem hat er drei Songs aus Lady Gagas Album Artpop produziert und mitgeschrieben. „Dieser Blick in die Welt der Popmusik und der Superstars macht wirklich Spaß“, sagt er über die Arbeit mit der Letztgenannten. „Mir gefällt dieses unglaublich schöne und bewundernswerte Verlangen, das Grösste und Beste der Welt zu sein. Das war es, was mich an Lady Gaga so fasziniert hat: Sie wollte immer schon eine Legende sein. Mit Coldplay ist es das Gleiche: wir werden die grösste Band der Welt sein. Dazu braucht es etwas Mut und eine Menge Ehrgeiz; das finde ich faszinierend und schön. Ich finde es sehr anziehend, das zu beobachten.“
Vielleicht ist es erwähnenswert, dass es sich hierbei um ein typisches Madeon-Zitat handelt. In der Dance-Szene mit ihren partyhungrigen DJs ist er der nachdenkliche, kluge und – soviel muss gesagt werden – sehr französische Typ: als ich ihn vor zweieinhalb Jahren zum ersten Mal traf, breitete er eine Stunde lang seine grossangelegte Theorie über die Popmusik aus und die damit verbundene Auflösung des Egos, das Leugnen der Selbstdarstellung und die Existenz eines ultimativen Akkords, einer ultimativen Melodie, die – wenn du sie gefunden hat – jedem Menschen auf der Welt deine Musik nahebringen wird. Heute erzählt er, dass er vor der eigentlichen Arbeit an seinem Album zunächst einen Entwurf von dessen emotionaler Struktur angefertigt hat. „Ich wusste, was ich mit jedem einzelnen Track erreichen wollte. Ich wollte auf sehr fröhliche Weise in einem gutgelaunten und sehr sozialen Universum beginnen und das ganze an einem eher nachdenklichen und einsamen Ort abschließen. Das ist eine Wandlung, die ich sehr oft in meiner Arbeitsweise beobachte, da ich zwischen zwei Welten hin- und herschalte: einmal unterwegs mit einem sehr zögellosen, intensiven Lebensgefühl und wieder zuhause, allein mit meiner Musik und den zurückgezogenen, einsamen Erfahrungen. Aber auch in anderen Bereichen gibt es das: wenn du mit Freunden feiern gehst, Spass hast, das gesellschaftliche Leben und das geteilte Glücksgefühl geniesst, und dann wieder nach Hause gehst, allein durch die Dunkelheit läufst und dieses einsame, aber schöne Gefühl hast. Und es zeigt sich auch in der Entwicklung, die ein Jugendlicher durchmacht. Dort ist dieses Gefühl der Wandlung spürbar.“
Das Schreiben und Aufnehmen des Albums war passenderweise ein einzigartiger Prozess: Auf der einen Seite sind da die prominenten Gastmusiker: Dan Smith von Bastille, Passion Pit und Mark Foster von Foster The People. Die Single ‚You’re On’ schrieb Madeon gemeinsam mit Jimmy Napes (Sam Smith, Disclosure, Mary J Blige), was wieder seine unverhohlene Liebe zur Popmusik unter Beweis stellt: „Popmusik hat so viel Schönes, sie muss jeden erreichen können“, sagt er begeistert. „Es ist die ultimative Musik und die am wenigsten gekünstelte“. Auf der anderen Seite steht Madeons einzigartiger Ansatz zum Songschreiben: „Oft mache ich es so, dass ich mich 24 Stunden lang im Studio einschließe. Ich wache morgens auf, trinke einen Tee und stelle mir dann eine Uhr auf 24-Stunden-Countdown. Ich verlasse den Raum nicht und ich muss drei komplett neue Songs produzieren. Das ist sehr intensiv, sehr körperlich, weil der Schlafentzug mitspielt. Der Schlafentzug schaltet ein paar Teile meines Gehirns aus und ich fühle mich, als ob ich schwebe. Das ist meine einzige Droge. Ich habe nicht länger Ideen im Kopf, die dann über meinen Körper im Studio umgesetzt werden, es ist mehr so, als würde alles ein wenig miteinander verschmelzen. Eigentlich ein schönes Gefühl. Und emotional auch sehr intensiv, weil ich nicht mehr aufhören kann, ich muss ohne Pause arbeiten. Der letzte Track des Albums ‚Home’ ist so entstanden. In der 16. oder 17. Stunde im Studio, der Schlafentzug hatte seine Wirkung schon gezeigt und ich war völlig erschöpft, fühlte mich unglaublich verwundbar und unfähig, irgendwas zu schreiben. Also schrieb ich einen Song über dieses Gefühl, über das Aufgeben. Und weil ich allein im Studio war und den Song fertig kriegen musste, sang ich selbst: Ich bin kein Sänger, aber mein eigener verwundbarer Gesang war für mich sehr interessant und auch rührend.“
Dieser Ansatz ist vielleicht ein wenig sonderbar, aber andererseits ist alles an Madeons Karriere als Musiker von Anfang an sonderbar gewesen. Madeon stammt aus Nantes und hatte seine ersten Berührungen mit elektronischer Musik im Alter von 10 Jahren, in Form einer Dokumentation über Daft Punk. Ein Jahr später begann er selbst Musik zu machen. „Ich war ein grauenhafter Schüler. Ganz schlimm. Der schlimmste. Ich flog von mehreren Schulen. Sie schmissen mich immer wieder raus und schickten mich auf die nächste Schule. Je mehr ich über Musik lernte, desto schlimmer war es in der Schule, also kam ich schnell auf die Idee, dass die Musik mein Job sein musste. Ich hatte nicht viele andere Möglichkeiten, also musste ich gut sein. Das war eine sehr... entschlossene Entscheidung.“
Er veröffentlichte einige Songs online, lehnte aber seltsamerweise Anfragen von Labels, die seine Songs veröffentlichen wollten, und von anderen Künstlern, die sie remixen wollten, ab. „Für mich kam es nie in Frage, Durchschnitt zu sein. Entweder gross und gewaltig oder gar nicht. Das war ziemlich prätentiös, aber so war es nun einmal.“
Sein Durchbruch kam dann mit einem Remix-Wettbewerb für die Drum'n'Bass-Band Pendulum. Mit seiner Version ihres Song ‚The Island’ als harter, glitzernder House-Track gewann er den Wettbewerb, obwohl eigentlich nur britische Produzenten zugelassen waren. Das war der Auftakt zu einer ganzen Reihe von hymnischen Remixen – unter anderem für The Killers, Deadmau5 und Martin Solveig – sowie zu einer DJ-Karriere, die er selbst so beschreibt: "Mein liebstes Hobby, mein liebstes Videospiel, nicht so bedeutsam auf emotionaler oder intellektueller Ebene, aber der grösste Spaß meines Lebens."
Als nächstes plant er eine Live-Show, an der er schon seit drei Jahren arbeitet. Sie basiert auf dem Diamanten-Muster, das auf dem Cover von ‚Adventure’ zu sehen ist, und ist „viel tanzbarer als das Album an sich. Ich hätte gern, dass ‚Adventure’ zu einem Ort in den Köpfen der Menschen wird; einem Ort, an den sie gehen können“, sagt er. „Wenn sie das Album hören, können sie vielleicht ein bisschen in dieser Welt leben, in sie eintauchen. Mir geht es bei den Beatles so. Ich bin sehr ergriffen von Beatles-Platten, weil sie wie ein Platz in meinem Kopf sind, den ich selbst geschaffen habe. Und wenn es die Musik der Beatles nicht gäbe, würde auch dieser Platz nicht existieren. So gesehen weitet das die Umrisse des Vorstellungsvermögens aus. Wenn meine Musik für irgendjemanden ein wenig so sein könnte, wäre das grossartig. Wenn ich etwas erschaffen habe, das den Menschen vielleicht eines Tages ein nostalgisches Gefühl bescheren kann, dann denke ich, dass es sich gelohnt hat.“
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